Intime Blicke

Wer Bezas Atelier passiert, sieht sich vor der großen Schaufensterscheibe des ehemaligen Ladenlokals und, an guten Tagen, durch diese hindurch Beza – auf ihrem Bambusschemel, den Kittel voller Farbe, die braunen Haare im Gesicht, die Stiefel eng geschnürt, setzt sie feine Striche in eine Hand, die nach dem Betrachter zu greifen scheint („Ultramarin“) bunt und warm, voller Leben, schwellender noch als das übrige Fleisch, das Bezas Bildern ihre spezifische sinnliche Präsenz verleiht. Die Hand greift nach dem Betrachter, lockt und will genommen werden, doch frappiert und scheu gleitet der Blick nach rechts, über den Boden, farbensatt und tief, in das Auge, dessen gleichsam verführerischer Blick sein frivoles Spiel treibt aus Locken und Entzug. Der Zauber dieses kleinen Vis-a-Vis  perlt wie die Schaumkrone der Wellenlinie des lustvollen gebeugten Leibes, unsagbar zart und intim.

Bezas Bilder entfachen und erhalten dieses Wechselspiel durch die Polaritäten von Bewegung und Ruhe, Komplexität und Einfachheit. Im Bild „Ultramarin“ entsteht durch die zunächst irritierende Falte am Rückenbogen eine rechtwinklige, ruhige Fläche rechts davon, die kontrapunktisch hinter dem betörenden Blick des Auges liegt.

In „Atelier komplex“ teilen die schräg in den Raum stehenden Leinwände das Bild in eine kleinere bewegte und eine größere stille Hälfte, wobei die dreiköpfige, vielgliedrige Frau in der dynamischen rechten Hälfte ihre Präsenz gerade durch den sich weit hineinstreckenden Raum gegenüber erhalten kann. Halb hockend, halb vordrängend, sich der Leinwand anschmiegend und von ihr abwendend, den anblickenden Kopf betrachtend und den sich abwendenden Leib umfassend, weist die Figur in ihrer Vielgestaltigkeit jede semantische Identifikation zurück, die sie doch gleichsam – mit provozierendem Blick zumal – herauszufordern scheint. Hekate, die griechische Göttin der okkulten Zauberkunst mag sich hier der Assoziation anbieten. Dreiköpfig auch sie und vielgestaltig in ihren Beschreibungen.

Eine unendliche Polysemie. Die Bildkomposition bietet eine neue Spur. Sie lockt den Blick über Farben und Pinsel, Hocker, Tischchen und Regale in die hintersten Winkel des Ateliers. Er möchte noch um die Ecke biegen, die hinter dem Vorhang offen steht, kann das aber nicht. Er wird zurückgeworfen auf den „Schädel“ im Regal (ein Bild, das heute in der SøR-Sammlung in Oelde hängt), auf ein Axel Springer Portrait auf dem Tisch und den Akt auf dessen Kopf – und damit auf die dichte Verweisstruktur innerhalb des Werkes, dem die sinnlich bewegte Vielgestalt vor der Leinwand entspricht. Auch sie beginnt zu malen.

Damit sind wir mitten im Atelier, mitten im Herz der Werkstatt und der Kunst, können ihren Körper greifen und das emotional-triebhafte Gefüge spüren, das ihn zusammenhält.        

Das „Atelier komplex“ verweist so auf grundsätzliche Strukturen in Bezas Werk. 

„Die Kunst hatte sich selbst aufgelöst!“ So fand Beza sie vor: „bis in ihre kleinsten Elemente dekonstruierte Inhalte“ – die Malerei als Baukasten, der sich selbst ausstellt. Und so wollte sie sie nicht lassen. Die Losung: Neue Zusammenführung der Elemente: Kopulation der Farben und Formen.

Bezas Bilder zeigen genau das, mit großer Lust am Körper und feinem Gespür für die sinnlichen Qualitäten geistiger Vorstellungen. Das schöne Nackende kehrt so zurück – nicht idealistisch erhöht, fern jeder transzendentalen Reinheit: natürlich, fast naturalistisch, nicht ruhend, sondern bewegt und seine innere Bewegung dem Betrachter mitteilend: die Lust am Sinnlichen seiner Augenlust, zeigefreudige Detailversessenheit seiner nuancierten Aufmerksamkeit.

Dieser ästhetischen Animation korrespondiert eine peinlich genaue Maltechnik – auch wenn, wie etwa im Bildnis Johannes Paul II., das Beza während seines Sterbens malte, die sich in der Schöpfung abarbeitenden Emotionen verebben und letzte Partien fragmentarisch bleiben. Gefühle sind immer der Motor. Nicht so aber, dass blinde Leidenschaft in manischer Entrückung den Pinsel führte; vom Mischen der Farben über die ersten Vorskizzen und die Komposition bis zur Ausführung leitet die genaue Kalkulation. Allein die Fleißarbeit des stoischen Ausarbeitens feiner Linien in photorealistischer Manier, Beza nennt das „pingeln“, ist ihre Sache nicht.

Dem Klee und dem Gras und den Blumen aber, über die sich das Mädchen „auf der Wiese“ hockt (und zu urinieren scheint), eignet eine Plastizität, die den Betrachter aus dem Bild heraus anspringt. Er kann jeden einzelnen Halm, jedes Blatt und jede Knospe zählen und fast – hört er es rauschen. So wird der Betrachter zum Voyeur. Scham empfindet er nicht dabei. Beza verleiht diesem Moment den selten Reiz einer unschuldigen Intimität, einer, durch die Technik des Bildes erregten und durch seine Stimmung bescherten Unmittelbarkeit jenseits der sozialen Normierung.

Die nämlich wird hier gerade fragwürdig. Einmal so im Idyllisch-Sinnlichen von der üblichen Norm des Verbotes derartiger Intimität freigestellt, ist der Betrachter genötigt, die Normierung von Sinnlichkeit und Intimität überhaupt neu zu reflektieren.

Dieser Imperativ ist Bezas Bildern wesentlich.

Animierende Lust am Körper zieht den Betrachter mit hinein in ihr lustvolles Spiel, stellt ihn so frei von überkommenen Ordnungen im Umgang mit dem Sinnlichen und eröffnet das freie Feld einer neuen Reflexion. Diese sich auf den Betrachter selbst zurückbeugende Bewegung ist es auch, die Bezas Kunst von jedem bloß freie Sinnlichkeit feiernden Hedonismus weit entfernt.

Im durch sinnliche Animation befreiten Denkraum begegnen die Figuren konservativer, Beza sagt, „katholischer“ Qualitäten. Da ist der erwähnte Papst. Aus Polen stammend, wie Beza: Idol ihrer Jugend und Galionsfigur der polnischen Unabhängigkeit vor allem aber: der Patriarch. Bezas Bild ist eine Liebeserklärung an den Heiligen Vater, keine Subordinationsgeste unter den Moralkodex der Kirche in buchstabentreuer Genauigkeit. Beza ist keine Protestantin. Es ist die Liebeserklärung an einen Vater, dessen Weisungen wie die regulativen Ideen der kritischen Philosophie den Weg weisen in einer auf die eigene Erfahrung angewiesenen und deshalb nie ganz sicheren Orientierung, die Leben heißt.

Da ist „Maria“, stolz und hoch, in Purpur, mit Schwert. Sie sieht aus wie ein Kreuzfahrer. Und hinter ihr das strahlende Kreuz Jesu. Splendor divine dignitatis. Aus dem Bild hinausblickend, halb hoch zu Gott, halb nach vorn, verbindet sie den aus dem Papstbild bekannten andächtigen Moment tiefer Innerlichkeit mit gespannter Handlungsbereitschaft. Wird sie sich zum beten nieder knien oder das Schwert ziehen und dreinschlagen? Wofür beten, wofür kämpfen? Fragen, die das Bild im Kontext der figurativ angelegten Bedeutung an den Betrachter stellt.

Ihre Augen aber, sind wie Tauben, und so kehrt auch hier die Beza ganz eigene Lust am Sinnlichen in die strenge Figuration katholischer Weiblichkeit zurück. Sie lässt an das Hohe Lied denken, das auch den Akt „und ewig lockt das Weib“ überschreiben könnte mit seinem     

Vers (1,6): „Seht mich nicht an, weil ich schwärzlich bin, weil die Sonne mich gebräunt hat! Meiner Mutter Söhne fauchten mich an, setzten mich als Hüterin der Weinberge ein. Meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehütet.“

Björn Vedder