slips_pour_Emell
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Das Ideal im Höschen
Jeder kennt die Geschichte aus Ovids X. Buch der Metamorphosen, in der der cyprische Bildhauer Pygmalion sich in seine Statue verliebt und leidet, dass sie nicht Fleisch für die Hand, nicht Duft für die Nase, nicht Geschmack für die Zunge, nicht das mitfühlende Geschöpf, sondern toter Stein ist. Er betet im Tempel der Venus für Erlösung von seinem Leid, kommt heim und findet seine Geliebte lebendig und warm und schwellend.
Seit dem ist das schwellende Fleisch, die täuschende Präsenz praller Sinnlichkeit das Charakteristikum einer produktiven wie rezeptiven Kunstauffassung, die man die materialistische zu nennen sich gewöhnt hat. Man vergleiche bloß die Venus Medici, Tizians Venus von Urbino und Rubens Venus vor dem Spiegel und achte darauf, wie die Künstler das Fleisch in Bewegung setzten vom knospenden Körper der Griechin, über das wollüstig schwellende Bäuchlein der kleinen Venezianerin bis zu den ausladenden Hüften und Schenkeln der Venus beim Flamen , um die sinnliche Lust des Betrachters zu animieren, damit diesem das tote Fleisch lebendig und in seiner Vorstellung das Schöpfungswunder Pygmalions wiederholt wird.
Ganz parallel läuft die Kunstgeschichte. Ob Dolce oder de Piles bei Tizian oder Rubens das Kolorit als animierende Qualität des Kunstwerks feiern, ob Winckelmann sich in die Muskeln eines Herkules verliebt, immer ist es der einfühlende Blick des Liebhabers, der von der sinnlichen Präsenz des Kunstwerks angeregt wird und diese Erregung auf das Kunstwerk überträgt, es so animiert womit ein Wechselspiel aus Anregung und Erregung entsteht, in dessen letzter Konsequenz, die Kunsterfahrung zerstört zu werden droht.
Diderot hat das zu Ende gedacht. In d’Alemberts Traum wird Pygmalions Statue pulverisiert, in ihre reine Materialität aufgelöst und gelangt so in den Stoffwechsel. Die materialistische Animation des Schöpfungswunders scheint Kunst und Leben zu stark zu diffundieren und in eine Sackgasse zu führen.
Schon Winckelmann reagiert darauf mit einer Transposition des Fleisches ins Idealische; „das Körperliche“, schreibt er an den Leser seiner Beschreibung des Apollo im Belvedere, „wird dir geistig erscheinen“. Das Gute, Wahre und Schöne hat dann wieder seinen Platz; die Muskeln des Herkules verwandeln sich in den Körper einer von allen Schlacken gereinigten Menschheit, werden zum Ausdruck göttlicher Stärke, überlebensgroß. Kunst und Leben sind dann getrennt und was diese über jenes zu sagen vermag, erscheint nur noch am fernen Horizont der vom Leben und seiner Verstrickung im Sinnlichen kategorial verschiedenen Ideale, verloren schon je oder niemals gehabt.
Was aber, wenn Diderots Versuch gar keine Sackgasse ist, wenn aus dem Stoffwechsel der Weg zurück ins Kunstwerk offen steht?
Emell zeigt, wie das geht ganz konkret. 300 Frauen im Sportdress erledigen einen von der Künstlerin geführten Parcours, laufend, keuchend, schwitzend der struggle of life im Parforceritt der Fitnessübung komprimiert. Emell sammelt die Höschen ein und lässt sie einer Installation zuführen. Der Stoffwechsel kehrt so ins Kunstwerk zurück, Leben wird wieder in Kunst überführt und damit deutlich, dass beide nicht getrennt sind. Das Kunstwerk braucht die Animation, um sinnlich zu erscheinen. Diese muss aber nicht in die Auflösung des Kunstwerks führen oder das Ideal vom Leben trennen, um es für die Erfahrung zu retten.
Wie aber kommt das Ideal ins Höschen?
Getragene Damenunterwäsche ist der Fetisch einer materialistischen Erotik. Schulmädchen bessern mit ihrem Verkauf das Taschengeld auf, nicht nur in Japan. Wir kennen das z.B. aus Murakamis Film Tokio Dekadenz. Die Philosophie des Marquis de Sade, diese sexuell geturnten Experimente der Moralphilosophie, radikal materialistische Auflösungen der von der Aufklärung noch übrig gelassenen Reste des Wahren, Guten und Schönen, zeigt sich bei Murakami als Szenario einer Gesellschaft, in der Würde, Liebe und andere Ideale des Menschseins pulverisiert worden sind, wie die Statue bei Diderot - reine Stoffwechselphänomene, sinnbildlich im Tausch von Höschen gegen Geld. Der Weg zurück zum Ideal scheint von hier aus ungangbar. Er ist es aber nicht.
Denn Emell öffnet den Blick für die Möglichkeit eines Ausweges aus der materialistischen Sackgasse und mit der Eröffnung dieser Perspektive kann auch im Höschen das Gute, Wahre und Schöne wieder erblickt werden, nicht von allen Schlacken der Menschheit gereinigt, sondern gerade an diesen haftend, nicht aus den Verstrickungen des Sinnlichen emporgehoben, sondern gerade aus diesen hervorgegangen. Sehen aber, muss man es selbst.
Es werden noch Teilnehmerinnen für die Performance gesucht. Anmeldung/weitere Infos unter paderborn@auvi-et-diversum.de oder info@artemell.com
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English Version:
The
Everyone knows the story told in book ten of Ovid’s Metamorphoses, in which the Cypriot sculptor Pygmalion falls in love with a statue and is distressed because it is not flesh for the hand, fragrance for the nose, taste for the tongue; not a compassionate creature, but dead stone. He prays for deliverance from his suffering in Venus’ temple and returns home to find his lover alive and warm and tumescent.
Tumescent flesh, the deceptive presence of swollen sensuality, has since become the characteristic of both a productive as well as receptive concept of art that has come to be called materialistic. One need only compare the Medici Venus, Titian’s Venus of Urbino, and Rubens’ Venus at the Mirror and pay attention to the way in which the artists set flesh in motionfrom the budding body of the Greek and the voluptuously swollen belly of the small Venetian, to the wide hips and thighs of the Venus by the Flemingsin order to animate the sensual lust of the viewer so that the dead flesh comes alive and Pygmalion’s miracle of creation is repeated in his or her imagination.
Diderot thought it out.
Winckelmann responded to this with a transposition of flesh into the ideal.
However, what if Diderot’s attempt is not a dead end at all, if the path from the metabolism back to the work of art is unobstructed?
Emell shows how that worksin a very concrete way. Three-hundred women dressed in sports attire completerunning, gasping, sweatinga course being lead by the artist, the struggle of life packed, perforce, into physical exercise. Emell then collects their panties and makes them part of her installation.
But how does the ideal get into the panties?
Worn panties are the fetish of a materialistic eroticism. Schoolgirls supplement their pocket money by selling theirs, not only in Japan. We are familiar with this practice from, e.g., Murakami’s film Tokyo Decadence.
Because Emell calls our attention to the possibility of a way out of the materialistic dead end, and with the opening up of this perspective, the good, the true, and the beautiful can again be caught sight of in the pantiesnot cleansed of all the waste of humanity, but the waste sticking to them; not lifted from enmeshment in the sensual, but having arisen from it. But one has to see it for oneself.
Björn Vedder, University of Bielefeld
tranlation by Rebecca van Dyck
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